In der Schweizer Krankenversicherung hat die Digitalisierung der Rechnungsprüfung in den letzten Jahren enorme Fortschritte erzielt – standardisierte Formate, automatisierte Abläufe, klare Regelwerke. Doch ein zentraler Teil des Leistungsprozesses blieb bisher zurück: die Kostengutsprache. Warum diese Lücke nicht nur ineffizient, sondern auch teuer sein kann – und wie sich mit klugen Synergien und neuen Standards ein Innovationsschub erreichen lässt – erfahren Sie in unserem neuesten Artikel.
In unserer Artikelserie beleuchten wir, wie Versicherer durch Automatisierung, Industrialisierung und gezielte Betriebsoptimierung nicht nur den regulatorischen Anforderungen gerecht werden, sondern auch Wettbewerbsvorteile erzielen können. Entdecken Sie, welche Strategien notwendig sind, um die Leistungsprüfung auf das nächste Level zu heben.
Hier finden Sie alle Beiträge unserer Artikelserie im Überblick:
Der nachfolgende Artikel beleuchtet die Potenziale der nun heute vorliegenden Standards und die Chancen und Herausforderungen beim Ausbau und Betrieb von der Rechnungsprüfung vergleichbaren Regelwerken.
Im Vergleich mit anderen Versicherungsbranchen hat die stark regulierte Schweizer Krankenversicherung in den letzten 20 Jahren eine sehr hohe Standardisierung und damit verbunden eine weitgehende Digitalisierung von Rechnungen erreicht.
Massgeblich an der Einführung und Etablierung technischer und standardisierter Rechnungsformate beteiligt waren das Gremium Forum Datenaustausch (gegründet 1996 als Initiative von Kranken- und Unfallversicherern) sowie Intermediäre wie MediData (gegründet 1994) mit ihren Übermittlungs- und weiteren Service-Dienstleistungen.
Eine solche Standardisierung gab es bis vor Kurzem noch nicht im Bereich der Kostengutsprachen – trotz ihrer grossen Bedeutung im Leistungsprozess. Die Vielfalt an genutzten Übermittlungskanälen (und die damit verbundenen Kosten) ist nach wie vor gross.
Die Rechnungsprüfung auf Krankenversicherungsseite mit einem OKP-Leistungsvolumen von ca. 40 Mrd. Franken und gegen 100 Millionen Einzelrechnungen spielt eine zentrale Rolle im Gesundheitswesen. Die Kassen sind gesetzlich verpflichtet, die erbrachten Leistungen (d. h. nach Erbringung durch den medizinischen Leistungserbringer) nach den sog. WZW-Kriterien (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit) zu prüfen und sicherzustellen, dass die bezahlten Prämien nur für die korrekten und erlaubten Leistungen verwendet werden.
Die so erreichten Kosteneinsparungen wirken sich nicht nur positiv auf das finanzielle Ergebnis der Krankenversicherer aus und damit auf einen geringeren Prämienanstieg, sondern schlagen sich z. T. auch in tieferen Kostenbeteiligungen für die Versicherten nieder.
Die Kontrolle von Kostengutsprachen ergänzt die Rechnungsprüfung als vorangestellte Massnahme, indem anstehende Behandlungen und Operationen (d. h. vor ihrer effektiven Erbringung) auf ihre Notwendigkeit, Angemessenheit und Vereinbarkeit mit vorliegenden Deckungen und deren Eigenschaften / Einschränkungen überprüft werden. Ein Vorteil einer sorgfältigen und umfassenden Prüfung dieser Gesuche liegt darin, potenzielle Streitigkeiten oder ungerechtfertigte Rechnungsstellungen bereits im Vorfeld zu verhindern. Dies trägt sowohl zur Effizienz als auch zur Rechtssicherheit im Abrechnungsprozess bei. Ein zusätzliches Ziel ist es, unnötige oder nicht im Leistungskatalog des KVG vergütete oder überdimensionierte Leistungen vorzeitig zu erkennen und zu vermeiden. Diese Form der Prüfung ermöglicht es den Krankenversicherungen, die medizinische Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten zu prüfen und ggf. zeitnah mit Kundenfokus einzugreifen, ohne dabei die Qualität der Behandlung zu gefährden.
Beide Prüfungen tragen damit zur nachhaltigen Kostenkontrolle im Gesundheitswesen bei, sowohl gesamthaft in der Krankenversicherung als auch für jede Versicherung individuell als Differenzierungsoption.
Bezüglich der Belegvolumen und der Heterogenität der beiden Prüfungen gibt es grössere Unterschiede, was mitunter Gründe dafür waren, dass sich die Standardisierung und Digitalisierung zuerst im volumenintensiveren Rechnungsbereich etabliert hatten. Heute wird ein Grossteil der Rechnungen elektronisch in standardisierten Formaten über gesicherte Kanäle von Intermediären übermittelt und bei den Krankenkassen weitgehend automatisiert geprüft und verarbeitet. Selbst papierbasierte Belege werden dank den am Markt etablierten, standardisierten Beleg-Layouts und umfassenden Scanning- und OCR-Lösungen in den digitalen Prozess überführt und in gleicher Weise automatisiert verarbeitet. Im Gegensatz dazu blieb die Kostengutspracheprüfung bis vor Kurzem eine überwiegend manuelle Tätigkeit. Anfragen wurden in der Regel per E-Mail oder noch früher auch per Fax eingereicht, anschliessend als PDF digitalisiert, manuell geprüft und im Leistungssystem strukturiert hinterlegt.
Durch die Etablierung elektronischer Standards wie eKoGu von MediDataiii und SHIP von SASISiv zeigt sich nun ein Wandel. Diese Standards schaffen erste Ansätze zur Automatisierung, sind jedoch noch nicht flächendeckend bei allen Leistungserbringern implementiert und decken nicht alle Fachbereiche ab. So fehlen beispielsweise derzeit Standards für die in den letzten Jahren stark angestiegene Anzahl an Anfragen zu Medikamenten, wie beispielsweise die Abnehmspritze Wegovy, welche seit 2024 unter gewissen Bedingungen von der Grundversicherung bezahlt wird. Aufgrund der fachlichen Komplexität, dem breiten Einsatzspektrum und insbesondere der heterogenen Teilnehmerschaft am Markt könnte sich eine Etablierung solcher Standards über fast alle Fachbereiche auch noch einige Zeit hinziehen.
Viele Krankenversicherer können inzwischen elektronische Übermittlungen von Kostengutsprachen über mindestens einen der beiden oben erwähnten Standards empfangen. Ein umfassendes Regelwerk zur fachlichen Prüfung und damit zur automatischen Verarbeitung ist bislang nur bei wenigen Versicherern implementiert. Noch ernüchternder (da technisch schwieriger) ist der aktuelle Stand der vollständigen Digitalisierung von Papiergesuchen, von der Erstellung beim Leistungserbringer über das Scanning beim Versicherer bis zum automatischen Abgleich mit der später eintreffenden Rechnung im Leistungssystem.
Es ist zu erwarten, dass entsprechende Ausbauten im Bereich der Automatisierung von Kostengutsprachen in den nächsten Monaten und Jahren intensiviert werden, bei Versicherungen wie auch bei Leistungserbringern. Das zunehmende Belegvolumen verspricht Kostenvorteile.
Nach der Prüfung einer Kostengutsprache-Anfrage kann die Rechnungsprüfung auf deren Resultat basieren. Dies hat aber auch Implikationen:
Die so im System erfassten Gesuche und Gutsprachen liefern Informationen zum Versicherten und zu seiner Behandlung, die in der Folge in der Rechnungsprüfung berücksichtigt werden können, ggf. auch nur bei dedizierten Leiden.
Aus unserer Projekterfahrung zeigt sich die hohe Bedeutung von inhaltlich aufeinander abgestimmten Regeln für die Gesuch- als auch für die Rechnungsprüfung. Beispielsweise erfordern Prüfungen auf gültige Leistungssperren in der für das Gesuch relevanten VVG-Deckung oder auf Verstösse gegen Karenzfristen und andere Deckungsspezifika wie Unfalleinschlüsse die gleiche Regelanwendung in beiden Kernaufgaben.
Das Regelwerk für die Gesuchprüfung wird bei den einzelnen Versicherern in den kommenden Jahren, wie oben dargelegt, voraussichtlich erheblich erweitert werden. Deshalb ist es sinnvoll, eine modulare und zukunftsgerichtete Konzeption dieses Regelwerks zu verfolgen: Die Erkenntnisse aus der Rechnungsprüfung müssen einbezogen werden, und das Regelsystem muss eine wartungsarme Ausbaubarkeit bieten. Möglicherweise können auch bereits etablierte Regeln aus der Rechnungswelt für die Prüfung von Kostengutsprachen wiederverwendet werden.
Die Kostengutsprache bzw. ein negativer Entscheid über ein Gesuch kann Studien zufolge auch einen Einfluss auf die Zufriedenheit der versicherten Kunden haben. Der Versicherte hat eine gewisse Vorstellung, in welche Klinik oder zu welchem Leistungserbringer er für die anstehende Behandlung gehen möchte. Das gilt speziell bei Zusatzversicherungen, auch wenn in den letzten Jahren die freie Auswahl von Leistungserbringern oft auf aktualisierte Listen des jeweiligen Versicherers eingeschränkt wurde. Eine aktive Kommunikation mit dem Kunden ist daher für die Akzeptanz einer allfälligen Ablehnung sehr wichtig.
Wir rechnen damit, dass die digitalen Kundenplattformen von Krankenversicherern zukünftig für solche Anwendungsfälle mit zusätzlichen Informations- und Interaktionsmöglichkeiten (wie Leistungserbringerbewertungen sowie Wahlmöglichkeiten, z. B. mit VVG-Flex-Produkten) erweitert werden.
Im hart umkämpften Kundenzufriedenheits-Scoring der diversen Umfrageinstitute wie auch für die Kundenbindung und die Kundenzufriedenheit allgemein sind Investitionen in interaktive und informativ gestaltete Kunden-Touchpoints, speziell bei der Kostengutsprache, aus unserer Sicht lohnende Differenzierungsmöglichkeiten von Kassen zu ihren Mitbewerbern.