Fachkräftemangel in der Pflege: Wie steht es im Schweizer Spitalwesen?


Der Fachkräftemangel spitzt sich in der Schweiz weiter zu. Unsere Berechnung geht von aktuell etwa 4'000 unbesetzten Vollzeitstellen in der gesamten Schweizer Spitallandschaft aus. Dabei wirkt sich fehlendes Personal in der Pflege nicht nur negativ auf die Behandlungsqualität aus, sondern verursacht für die Spitäler hohe Kosten für Fremdpersonal sowie Erlösausfälle durch gesperrte Betten und geschlossene OP-Säle. Synpulse hat Deutschschweizer Spitälern auf den Puls gefühlt und ist der Frage nachgegangen, wie sich der Fachkräftemangel im Spitalbetrieb konkret auswirkt und wie die Spitäler damit umgehen.

Fehlendes Personal und hohe Berufsaustrittsquote im Pflegeberuf

Der Fachkräftemangel in der Pflege stellt heute eine der grössten Herausforderungen für das Schweizer Gesundheitswesen dar. Verschiedene Prognosen gehen davon aus, dass der Schweiz per 2030 rund 20'000 Vollzeitstellen in der Pflege fehlen werden.[1]

Im Vergleich zu anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen weist das Pflegepersonal mit Abstand die höchste Berufsaustrittsquote auf, was u.a. auf Unzufriedenheit des Personals zurückzuführen ist. So gibt rund die Hälfte des Pflegepersonals an, nicht bis zur Pensionierung im Pflegeberuf verbleiben zu wollen.[2] Einer der Hauptgründe für die Unzufriedenheit scheint die Schichtarbeit zu sein, welche zu physischer und psychischer Überlastung führt und nicht ausreichend abgegolten wird.[3]

Synpulse hat bei Deutschschweizer Spitälern nachgefragt, wie sich der Fachkräftemangel konkret auswirkt und welche Strategien sie verfolgen, dem entgegenzuwirken. Die befragten Organisationen (N=13) decken gesamthaft etwa 35 Prozent der akutsomatischen Betten in den deutschsprachigen Kantonen ab und bilden damit einen guten Indikator über die aktuelle Situation.

Mehrheit der Spitäler musste OP-Säle schliessen und Betten sperren

Die grosse Mehrheit der befragten Spitäler gibt an, dass die Personalfluktuation in ihren Kliniken in den vergangenen drei Jahren auffällig zugenommen hat, insbesondere seit der Covid-19 Pandemie. Im Durchschnitt können die Spitäler rund 5 Prozent der Pflegestellen nicht besetzen. Hochgerechnet auf die gesamte Schweizer Spital-Landschaft (Akutspitaler, Psychiatrien, Rehabilitation, Geriatrie) ist von aktuell ca. 4'000 unbesetzten Vollzeitstellen in der Pflege auszugehen. Gehen wir von denselben Annahmen für die Bereiche Alters- und Pflegeheime sowie Spitex aus, kommen wir schweizweit gesamthaft auf aktuell rund 9'000 unbesetzte Vollzeitstellen in der Pflege.

Die Auswirkungen dieses Mangels zeigen sich in den Akutspitälern in der Reduktion von OP-Kapazitäten und Bettenschliessungen. So musste punktuell rund die Hälfte der befragten Spitäler OP-Säle aufgrund von Mangel an Pflegepersonal zeitweise schliessen. Zum Umfragezeitpunkt, in den Monaten Dezember 2022 bis Februar 2023, hatten über 60 Prozent der befragten Spitäler einen Teil ihrer Betten aufgrund von fehlendem Personal geschlossen.

Die Hälfte der Kliniken arbeitete im Ergebnis mit einem tieferen Pflegeschlüssel (Verhältnis von Anzahl Pflegefachpersonen zu versorgenden Patienten), als sie es eingeplant haben.

In der Not greifen Spitäler auf teures Fremdpersonal zurück

Fast 80 Prozent der befragten Spitäler haben angegeben, den Personalmangel in der Pflege durch den vermehrten Einsatz temporären Fremdpersonals auf ihren Stationen zu kompensieren. Etwas mehr als die Hälfte der zum Zeitpunkt der Befragung vakanten Vollzeitstellen wurde so durch Fremdpersonal gedeckt.

Die Pflegekräfte werden dabei von spezialisierten Personalverleihern bezogen. Grundsätzlich ist dies als ein vorteilhaftes Instrument zu sehen, um kurzfristig unvorhersehbare Lücken zu füllen und damit den laufenden Betrieb sicherzustellen. Wir nehmen jedoch vermehrt wahr, dass durch zu hohen externen Personaleinsatz der Zusammenhalt im Team und die allgemeine Zufriedenheit des internen Personals abnimmt und so wiederum die Fluktuation weiter begünstigt wird.

Insbesondere wirken sich die hohen Kosten aber negativ auf den Deckungsbeitrag aus und gefährden einen wirtschaftlichen Betrieb. Legen wir die durchschnittlichen Kennzahlen aus unserer Studie zu unbesetzten Pflegestellen sowie den Anteil der durch externes Fremdpersonal besetzte Stellen zugrunde, so kommen wir für ein 400-Bettenhaus auf jährliche Cash-outs in Höhe von rund 7 MCHF. Im Vergleich zu den internen Kostensätzen sind dies jährliche Mehrkosten in Höhe von rund 3.3 MCHF. Diese Zahlen verdeutlichen die Situation, der sich Spitäler aktuell stellen müssen.

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Abbildung 1: Berechnungsbeispiel für die anfallenden Mehrkosten durch Fremdpersonal in der Pflege für ein 400-Bettenhaus

Spitäler setzen auf Verbesserung der Arbeitgeberattraktivität, neue Arbeitszeitmodelle und strategische Kooperationen

Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, setzen die befragten Organisationen aktuell primär auf eine Verbesserung des Arbeitgebermarketings, um zum einen das bestehende Personal zu halten und zum anderen neues besser zu gewinnen: So befassen sie sich unter anderem mit Employer Branding, der Einführung von erweiterten Mitarbeiter-Benefits, Jobsharing, neuen Kita-Angeboten zur vereinfachten Vereinbarkeit von Beruf und Familie, bis hin zur gesamtheitlichen Überarbeitung der Arbeitszeitmodelle.

Das Spital Bülach pilotierte 2023 ein dreistufiges Schichtmodell

Das Spital Bülach pilotierte 2023 ein dreistufiges Schichtmodell [4]: Die Mitarbeitenden haben die Wahl zwischen den Optionen «Fix», «Flex» und «Super-Flex» hinsichtlich ihrer Einsatzplanung. Das Modell zielt auf eine bedürfnisgerechte Schichtplanung und belohnt Spontaneinsätze mit zusätzlichem Entgelt zum Grundlohn.

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Abbildung 2: Marktbeispiel eines dreistufigen Schichtmodells in der Pflege im Spital Bülach

Die Mehrheit der befragten Organisationen setzt zudem auf strategische Partnerschaften zum Beispiel mit Ausbildungsinstitutionen, um Absolventen für ihre Kliniken frühzeitig gewinnen zu können. Sie bemühen sich überdies auch um Einflussnahme und Mitgestaltung auf politischer Ebene, um den Fachkräftemangel langfristig einzudämmen.

Weitere Massnahmen, welche die befragten Spitäler bereits verfolgen, sind die Vergrösserung oder Zusammenlegung von Bettenstationen sowie der Aufbau von stationsübergreifenden Pflege-Pools. Ebenso setzt die Mehrheit der befragten Spitäler im Rahmen der Stärkung der Ambulantisierung mittelfristig auf eine Reduktion ihrer Betten.

Unser Fazit

Der Fachkräftemangel stellt heute eine der grössten Herausforderungen des Schweizer Gesundheitswesens dar und zeigt in Teilen bereits drastische Auswirkungen. Um dem zu begegnen, sehen wir für Spitäler Handlungsbedarf auf strategischer wie operativer Ebene.

Wir empfehlen, das «Betriebsmodell Pflege» umfassend neu zu denken. Dabei sollten im Zukunftsmodell alle Dimensionen betrachtet und neu definiert werden: vom Führungsmodell und -Grundsätzen, über das Arbeitsmodell und Schichtsystem, die Prozessebene, bis zum Einsatz digitaler Lösungen.

Wollen Sie einen Schritt weiter gehen und das «Betriebsmodell Pflege» in Ihrem Spital auf ein neues Level heben? Gerne stehen wir Ihnen für ein unverbindliches Gespräch zur Verfügung.

[1] Gesundheitspersonal in der Schweiz – Nationaler Versorgungsbericht 2021. Bestand, Bedarf, Angebot und Massnahmen zur Personalsicherung (Merçay, C., Grünig, A., & Dolder, P. (2021))
[2] Pflegende am Limit: Wie weiter nach Dank und Applaus? (Unia. (2020)
[3] Berufskarrieren Pflege -Resultate einer Längsschnittstudie zum Berufseinstieg von diplomierten Pflegenden und Erkenntnisse aus einem kombinierten Datensatz zu diplomierten Pflegenden und Fachfrauen/Fachmännern Gesundheit. ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Schaffert, R., Trede, I., Grønning, M., Hänni, M., Bänziger, A., Robin, D., Helfenstein, E. (2021)
[4] Mehr Flexibilität in der Pflege dank innovativem Arbeitszeitmodell – Spital Bülach investiert rund eine Million (Spital Bülach AG (22.03.2023))


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