Wie lässt sich die digitale Transformation im Spitalwesen meistern?


Nahezu alle Lebensbereiche verändern sich durch die Digitalisierung, auch die Gesundheitsversorgung. Wo befinden sich die Schweizer Spitäler auf dem Weg zum «Digitalen Spital»? Um das herauszufinden, haben wir im Rahmen einer Marktstudie mehr als 300 im Schweizer Spitalwesen tätige Personen befragt.

Im dritten und finalen Teil unserer Artikelserie beleuchten wir, wie es um erforderliche Fähigkeiten für eine digitale Transformation im Schweizer Spitalwesen gestellt ist und geben Handlungsempfehlungen für den Weg hin zum digitalen Spital.

Hier können Sie Teil eins und zwei nachlesen:

Auf dem Weg zum «Digitalen Spital»

Marktstudie zum Stand der Digitalisierung in der Schweizer Spitallandschaft. Sind Sie an den Detailergebnissen und Handlungsempfehlungen interessiert? Dann empfehlen wir Ihnen unseren umfassenden Studienreport, welchen wir Ihnen gerne kostenlos und digital zustellen.

Schweizer Spitalwesen in Sachen Digitalisierung im Hintertreffen

Insgesamt scheint die Digitalisierung in die Welt der Gesundheitsversorgung noch nicht wie in andere Branchen vorgedrungen zu sein: So sehen es zumindest rund 63% der Befragten unserer Erhebung und geben an, das Schweizer Spitalwesen sei im Vergleich zu anderen Branchen in Sachen Digitalisierung im Hintertreffen. Diese Beobachtung deckt sich mit internationalen Studien, welche das digitale Engagement im Gesundheitssektor im Vergleich zu anderen Branchen als unterdurchschnittlich beurteilen.

Was unterscheidet sich das Spitalwesen von anderen Branchen?

Sicherlich sind die Gründe, weshalb das Spitalwesen in Sachen Digitalisierung bisher ein anderes Tempo an den Tag gelegt hat, unter anderem in den eigenen Charakteristiken zu finden: Das Spitalwesen stellt einen zentralen Pfeiler in der Gesundheitsversorgung dar und ist, wie kaum eine andere Branche, geprägt von einer hohen Personalintensität. So zählt jedes Spitalbett ca. 7-12 Mitarbeitende, von denen in der Regel rund zwei Drittel dem medizinischen und pflegerischen Personal angehören. Organisationsstrukturen, Prozesse und Arbeitsweisen bauen unterdessen meist auf einem historischen Fundament auf und folgen im Wesentlichen einer Expertenlogik sowie strengen Hierarchien. Zwar halten fundamentale Innovationen Einzug in die Medizin und lassen uns heute beispielsweise von «High-Tech Medizin» und «Precision Medicine» sprechen, doch wenn es um Veränderungen wie die Digitalisierung geht, die das Spital als ganze Organisation betreffen, scheinen die eingangs genannten Strukturen bei Veränderungen nicht förderlich.

Doch welche Voraussetzungen sollten gegeben sein, um den Weg in die Transformation einschlagen und erfolgreich beschreiten zu können? Was hindert die Schweizer Spitäler heute daran? Wir haben uns auf folgende Aspekte konzentriert:

  • Innovation Management: Haben Spitäler Trends und Entwicklungen im Gesundheitsmarkt im Blick?
  • Team & Skills: Sind Teams mit den entsprechenden Skills ausgestattet oder fehlt es an Expertise im Bereich Digitalisierung?
  • Finanzierung: Werden Vorhaben im Bereich der Digitalisierung mit ausreichendem Budget unterstützt?

Innovation Management: Systematisch oder opportunistisch?

Die Berufsbilder im Spital orientieren sich klassischerweise vorwiegend entlang der medizinischen Patientenversorgung. Die Digitalisierung verlangt jedoch gänzlich andere Berufsbilder und Fähigkeiten, wie beispielsweise «Machine Learning Engineers» oder «Data Science Manager», welche bisher im Spital kaum anzutreffen sind.

Immerhin 52% der Befragten geben an, dass ausreichend viele Experten im Bereich der Digitalisierung in ihrer Organisation vorhanden seien, 39% sehen hier jedoch ein Defizit. Die Mehrheit, nämlich 58% der Befragten, sehen einen Mangel an Personalressourcen als gewichtigsten Grund, weshalb Digitalisierungsvorhaben nicht gestartet oder weiterverfolgt werden.

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Abbildung 1: Experten für Digitalisierung

Wie stark das Commitment zur Digitalisierung ist, könnte auch daran abgelesen werden, welche Strukturen rund um die Digitalisierung geschaffen wurden: Die Hälfte der befragten Teilnehmer aus den Bereichen Geschäftsleitungen/Direktionen, Unternehmensentwicklung und IT/Medizintechnik gaben an, ein dediziertes Team zu besitzen, welches sich ausschliesslich Innovations- und Digitalisierungsthemen widmet und hierbei einer klaren Digitalisierungsstrategie folgt. Offen bleibt jedoch, wie stark diese Teams aufgestellt sind, welcher Governance diese unterstellt sind und welchen Impact die letztlich erreichen können.

Finanzierung: Fehlt das Budget?

Schliesslich sind wir der Frage nachgegangen, wie es um die Finanzierung von Digitalisierungsvorhaben im Schweizer Spitalwesen bestellt ist. Dieser Aspekt ist aus zwei Gründen von besonderer Bedeutung: Zum einen sehen sich Spitäler einem immer stärkeren Kostendruck ausgesetzt und können u.a. aufgrund ihrer Finanzierungsstrukturen und meist öffentlichen Trägerschaften nicht so flexibel agieren wie andere Unternehmen. Zum anderen ist zu beobachten, dass das Gesundheitswesen im Vergleich zu anderen Branchen über die letzten Jahre signifikant weniger in die Digitalisierung investiert hat und der Handlungsdruck unterdessen weiter zunimmt.

Eine Mehrheit der Teilnehmer, nämlich 72%, sehen in der Finanzierung offenbar kein grösseres Problem und finden Digitalisierungsvorhaben in ihrer Organisation mit ausreichendem Budget unterstützt. Entsprechend sehen auch nur 40% der Befragten ein unzureichendes Budget als Grund, weshalb Digitalisierungsvorhaben nicht gestartet oder weiterverfolgt werden.

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Abbildung 2: Finanzierung von Digitalisierungsvorhaben

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass es aus Sicht der Befragten eher an «Digital Experts» mangelt als an den erforderlichen finanziellen Mitteln.

Jeweils mindestens die Hälfte der Spitäler scheinen auch einen systematischen Ansatz beim Trendscreening zu verfolgen und dedizierte Strukturen, wie beispielsweise ein gesondertes Team installiert zu haben, welches sich primär Digitalisierungs- und Innovationsthemen widmet.

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Zielbild: Digitales Spital

Wie können nun Spitäler den Weg in die Digitalisierung einschlagen und schnell Mehrwerte für Patienten, Mitarbeitende und Partner schaffen? Eine offensichtliche Antwort könnte lauten, dass es eine Digitalisierungsstrategie und einen Umsetzungsplan braucht. Doch in dieser Pauschalisierung ist die Vorgehensweise in der Praxis oftmals zu kurz gedacht.

Für den Erfolg einer Digitalisierungsstrategie muss das «strategische Zusammenspiel» zwischen Unternehmensstrategie, Digitalisierungsstrategie und IT-Strategie aufeinander abgestimmt sein. Die Unternehmensstrategie gibt dabei vor, wie die Unternehmensvision erreicht werden soll. In einer zukunftsweisenden Unternehmensstrategie muss indes der Bezug zur Digitalisierung hergestellt werden. Die Digitalisierung dient somit den strategischen Zielen des Unternehmens. Es liegt ausserdem auf der Hand, dass strategische Massnahmen im Kontext der Digitalisierung Anforderungen an die IT stellen werden. Diese Anforderungen sind im Rahmen der IT-Strategie aufzunehmen und umzusetzen. Die IT wird so zum «Enabler» der Digitalisierung und leistet damit ihren Beitrag zur Unternehmensstrategie und dem Erreichen der Unternehmensziele.

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Abbildung 3: Das «strategische Zusammenspiel»

Wenn wir also von der Entwicklung einer Digitalisierungsstrategie sprechen, so ist diese im Zusammenspiel mit der Unternehmensstrategie und IT-Strategie zu betrachten. Ansonsten droht ihr der nahezu sichere Tod, da sie nicht durch die Unternehmensstrategie gefordert und damit gefördert wird und zum anderen Anforderungen an die IT vermutlich nicht erfüllt werden.

Für den zweiten Bestandteil, den Umsetzungsplan, empfehlen wir einen dynamischen Ansatz zu verfolgen: Hierfür braucht ein initiales Zielbild der Digitalisierung und einen initialen Katalog von Massnahmen, welche darauf abzielen, dieses Zielbild zu erreichen. Essenziell im weiteren Verlauf ist jedoch, das Zielbild regelmässig, beispielsweise jährlich, einem kritischen Review zu unterziehen. Auf Basis dieses Reviews ist das Zielbild zu schärfen und Massnahmen sind zu repriorisieren beziehungsweise neu aufzugleisen. Mit einem solchen dynamischen Ansatz wird sichergestellt, dass insbesondere den schnellen, technologischen Entwicklungen Rechnung getragen wird.

Wir empfehlen ein auf fünf Elementen basierendes Vorgehen (vgl. Abbildung 4):

  1. Agile Strategie-Entwicklung: Die Entwicklung und Umsetzung der Strategie wird dynamisiert und regelmässig einem Review unterzogen.
  2. Capability Map: Die Capability Map gibt einen Überblick zu den Fähigkeiten, welche die Organisation in Zukunft besitzen möchte. Diese werden einem Maturitäts-Check unterzogen.
  3. Target Operating Model: Mit Hilfe eines Target Operating Models wird das Zielbild entlang verschiedener Dimensionen (unter anderem Organisation & Prozesse, Leistungen & Services, Kooperation & Sourcing) beschrieben.
  4. Planung & Umsetzung: Eine agile Roadmap und schlanke Governance bilden die Grundlage für die Umsetzung.
  5. Messen der Transformation: Eine kontinuierliche Messung erlaubt es situativ gegenzusteuern, einzelne Massnahmen zu stoppen, neue aufzugleisen und den Backlog zu repriorisieren.
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Abbildung 4: Strukturiertes Vorgehen von der Strategie bis zur Umsetzung

Fazit und Ausblick

Das Schweizer Spitalwesen steht vor grossen Herausforderungen. Doch wir stellen fest, dass die Potentiale der Digitalisierung im Gesundheitswesen und im Speziellen von den Spitälern noch kaum ausgeschöpft werden.

Vor dem Hintergrund der Entwicklungen im Gesundheitswesen wird der Digitalisierungsgrad der Spitäler jedoch zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor werden: Die Erwartungshaltung von Patienten liegt heute schon in den meisten Fällen über dem, was Spitäler aktuell erfüllen können. Dem Wettbewerb um Fachkräfte in Medizin und Pflege werden sich Spitäler nur dann stellen können, wenn sie eine moderne Arbeitsumgebung bieten. Und schliesslich werden Partner wie Zuweiser und Nachsorger vermehrt nach digitalen Schnittstellen fragen.

Spitäler sollten sich daher dringend mit den Fragen der Digitalisierung auf strategischer Ebene beschäftigen und einen agilen Weg in die Digitalisierung einschlagen. Die vorliegende Studie soll hierzu ein Anstoss sein, als Diskussionsgrundlage dienen und zu kreativen Überlegungen inspirieren.

Über die Studie

Mit dieser Studie möchten wir den Stand der Digitalisierung im Schweizer Spitalwesen aus dem Blickwinkel der dort tätigen Experten beleuchten. Hierzu haben wir über 300 Beschäftigte aus 26 verschiedenen Schweizer Spitälern zu den Themen Innovationsfähigkeit, Digitalisierung, elektronisches Patientendossier und digitaler Patientenpfad befragt. Die Befragung fand von Oktober 2019 bis Januar 2020 statt.

Synpulse beschäftigt sich intensiv mit der Digitalisierung im Gesundheitssektor. Um Transparenz über das Fortschreiten verschiedener Entwicklungen zu erhalten, führen wir regelmässig Marktstudien durch. Die Ergebnisse dieser Studie sollen Diskussionsgrundlage und Denkanstösse sein und zu kreativen, strategischen Überlegungen inspirieren.

Auf dem Weg zum «Digitalen Spital»

Marktstudie zum Stand der Digitalisierung in der Schweizer Spitallandschaft. Sind Sie an den Detailergebnissen und Handlungsempfehlungen interessiert? Dann empfehlen wir Ihnen unseren umfassenden Studienreport, welchen wir Ihnen gerne kostenlos und digital zustellen.


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