Am 1. Januar 2026 markiert die Einführung des TARDOC und der ambulanten Pauschalen einen bedeutenden Wendepunkt im Schweizer Gesundheitswesen. Das nach Ansicht vieler Stakeholder veraltete Abrechnungssystem TARMED mit einem jährlichen Volumen von gegen 15 Milliarden Franken für die ambulante Grundversorgung in der OKP (und weiterer Volumen auch in der Unfallversicherung und in der Kranken-Zusatzversicherung) wird durch zwei Tarifsysteme abgelöst. Diese Umstellung bringt eine Vielzahl von Veränderungen mit sich sowohl für die Leistungserbringer wie auch für die Krankenversicherungen.
Dieser Artikel beleuchtet die wesentlichen Unterschiede und die Eigenheiten der neuen Tarife TARDOC und Ambulante Pauschalen, deren Herausforderungen für die Krankenversicherungen, und dass die Einführung mehr mit sich bringt, als auf den ersten Blick ersichtlich scheint.
In der öffentlichen Debatte wird vorrangig der TARDOC thematisiert, während die Einführung der ambulanten Pauschalen aus unserer Sicht als weitaus komplizierter und weniger klar erscheint. Im Gegensatz zum TARDOC, der sich stark an das bestehende TARMED-System anlehnt, handelt es sich bei den ambulanten Pauschalen um ein neuartiges Tarifsystem, am ehesten vergleichbar mit DRG-Fallpauschalen für die akut-stationären Aufenthalte. Die Preisermittlung erfolgt analog zu den stationären Pauschalen mit einer Grouper-Software, welche anhand der Inputparameter die entsprechende Fallpauschale und das Kostengewicht ausgibt.
Eine Vergleichbarkeit der beiden Fallpauschalensysteme für die Herleitung von Einführungsaufwänden sehen wir jedoch als nicht gegeben. Die wenigen Inputparameter wie Alter, Diagnosen und Prozeduren wie auch die bisher publizierten Informationen zu den ambulanten Pauschalen lassen auf eine einfachere Handhabung in den Abläufen und der Fachlichkeit schliessen als bei der DRG-Einführung im Jahr 2012. Auch gibt es bis jetzt keine zusätzlichen Datenschutzanforderungen im Sinne einer «zertifizierten Datenannahmestelle». Eine der gegenwärtigen Unsicherheiten betrifft die Notwendigkeit einer Einführung einer Grouper-Software auf Seiten der Krankenversicherer. Auch ist unklar, wie die Tarifregeln letzten Endes von den Marktteilnehmern interpretiert und angewendet werden: Die Krankenkassen (wie auch die Kantone) und Leistungserbringer haben unterschiedliche monetäre Interessen in Bezug auf die Frage, welche Leistungen in einer Pauschale enthalten sind und welche als zusätzliche TARDOC-Ziffer(n) separat abgerechnet werden dürfen.
Naheliegend erscheint der Tarifwechsel von TARMED auf TARDOC und ambulante Pauschalen überwiegend technischer Natur zu sein. Ein wesentlicher Teil der Anpassungsarbeiten betrifft das Regelwerk und die Prüflogiken, die von Softwareanbietern wie Adcubum oder SUMEX an die Krankenversicherungen ausgeliefert werden. Unklarheit besteht jedoch hinsichtlich der Anpassung von unternehmenseigenen Anwendungen, wie beispielsweise die Scanning-/OCR-Software oder dem Datawarehouse und darauf aufbauenden Reports, die im Hinblick auf die neuen Tarife womöglich angepasst werden müssen.
Weitere technische Aufwände resultieren aus der Analyse der kundeneigenen Regelwerke. Es muss analysiert werden, an welchen Stellen in den Prüfregeln überall TARMED-Tarifziffern und -kapitel hinterlegt wurden. Beispiele hierfür sind Regeln wie z.B. gynäkologische Vorsorgeuntersuchungen, die nur alle drei Jahre von der obligatorischen Grundversicherung vergütet werden, oder ärztliche Psychotherapie, die auf maximal 40 Sitzungen pro Behandlungsfall limitiert ist. Die nötigen Anpassungen an den Regelwerken wie auch die Etablierung möglicher Übergangsprozesse – beispielsweise für hinterlegte und noch gültige Gesuche und Flags auf den versicherten Personen - sind zwar technisch aufwendig, machen aber aus unserer Sicht dennoch nur einen Bruchteil des Gesamtaufwands aus.
Als weitaus bedeutender erachten wir die fachlichen Aufwände, die durch die Detailanalyse und Entscheidungsfindung bezüglich der neuen Regeln für TARDOC und der ambulanten Pauschalen bei der Fachführung und den Business Analysten anfallen.
Nicht zu unterschätzen sind zudem die Testaufwände kurz vor dem Einführungstermin. Hierbei ist die grösste Herausforderung, dass es sich um neue Tarife, resp. mit ambulanten Pauschalen sogar um ein neues Tarifsystem handelt und daher keine produktiven Rechnungen für Tests zur Verfügung stehen. Wir empfehlen, die Überprüfung des Regelwerks und der Gesamtdunkelverarbeitungsquote vorgängig mit synthetisch erstellten Rechnungsbeispielen zu validieren.
Sowohl für die Krankenversicherer als auch für viele ambulante Grundversorger ist das Abrechnungsvolumen der ambulanten Tarifsysteme beträchtlich und finanziell wichtig. Daher müssen Versicherer das Abrechnungsverhalten der Leistungserbringer und deren Interpretation der vorgesehenen Regeln proaktiv überwachen. Eventuell kann auf bestehende TARMED-Reports zurückgegriffen und diese angepasst werden. Die Vergleichbarkeit über die Jahre ist aber mit dem Übergang zu TARDOC nicht 1:1 sichergestellt. Wir empfehlen deshalb jeder Krankenversicherung, adäquate Reporting- und Überwachungssysteme zu etablieren, um Auffälligkeiten in der Rechnungsstellung frühzeitig zu erkennen. Die Eskalationspfade für den Umgang mit Auffälligkeiten sind mit Bezug auf die neue Struktur ggf. neu zu definieren. Ebenfalls müssen bestehende Kostenkontrollreports angepasst oder erweitert werden, um nachhaltig die finanziellen Auswirkungen der neuen Tarifsysteme überwachen und an entsprechende Stellen melden zu können.
Wir empfehlen, frühzeitig eine Grobanalyse zu starten. Wie oben dargelegt, sind verschiedene Aspekte (tariflich, technisch) im Detail zu validieren, selbst wenn nicht alle analysierten Punkte letztlich zu einer Anpassung an Systemen oder Prozessen führen sollten.
Auf Basis unserer langjährigen Expertise in der Regelanalyse und -pflege wie auch aus Erfahrungen bei der Einführung des Fallpauschalensystems im Jahr 2012 empfehlen wir, frühzeitig eine Vorevaluation aller möglicher Handlungsfelder zu starten, um eine bereits gute Einschätzung zu gewinnen für die Allokation nötiger interner Ressourcen. Für eine effiziente und umfassende Grobanalyse hat Synpulse Hilfsmittel erarbeitet (Fragelisten, Checklisten) mit dem Fokus auf die drei wichtigsten Handlungsfelder und den Dimensionen fachlich, technisch und prozessual (siehe Abbildung 2).
Wir sehen zwei naheliegende Vorgehensvarianten:
Meist sind die benötigten Experten aus Leistungsmanagement, Regelwerkpflege und Fachführung noch mit anderen tariflichen und gesetzlichen Arbeiten beschäftigt, so dass sich diese Personen kaum für einige Monate ausschliesslich um den ambulanten Tarifwechsel kümmern können. Auch können weitere Risiken eintreten oder die Zeit wird allgemein zu kurz für die Adjustierung des Regelwerks und der Dunkelverarbeitungsquote in der Variante Sprint. Deshalb empfehlen wir das gestaffelte Vorgehen für die Umsetzung.
Mit einer proaktiven Herangehensweise an das Vorhaben «Wechsel TARMED zu TARDOC/ambulante Pauschalen» haben Sie Gewähr, dass die Funktionalität des eigenen Regelwerks und der Prozesse sowie die benötigten Reporting- und Controlling-Instrumente für den 1. Januar 2026 bereitstehen. Ein gut geplantes und per Ende 2025 fertig umgesetztes Vorhaben bietet Gewähr, dass Sie im Jahr 2026 wieder über Kapazitäten verfügen, um beispielsweise die Prüfregelwerke für einfach wartbare und automatisierte Bearbeitung von Gesuchen und Kostengutsprachen auf- resp. auszubauen. Lesen Sie hierzu mehr im dritten Artikel unserer dreiteiligen Serie.
Partner and Global Head of Health
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